Gespenst der russischen LandstraßeGespenst der russischen Landstraße. Autor Dmitri Fjodorow, Foto Alexandr Wasiljew.
Autos vom Ufer der Neva haben einfach kein Glück. Schon vor über100 Jahren murmelte Nikolaus der II, nach dem er die selbstfahrende Kutsche der Petersburger Jakowlew und Frese begutachtet hat: „Im Ausland wird’s besser gemacht“. So auch jetzt, ein Jahrhundert danach, wo eine Gruppe von Naturtalenten einen Entwurf aus ihrer Werkstatt rollte, der einem ganzen Trend im heutigen Automobilbau voraus war. Schaut einfach mal die Bilder an. Vor ihren Augen ist ein Prototyp eines leichten Geländewagens „Proto“. Frisch? Interessant? Schön zumindest? Die äußerlichen Formen sind eigentlich ganz einfach und gleichzeitig doch nicht trivial. Die geschwungene Seitenlinie teilt die Seitenflächen auf und verleit dem Wagen eine gewisse Dynamik, und die kleine Falten an den vorderen und hinteren Kotflügeln schließen das Bild harmonisch ab, so dass man es doch als Ganzes betrachtet. Die weichen Rundungen der Stoßstangen lassen trotz ihrer dunklen Farbe das ganze überhaupt nicht schwer aussehen. Die zusätzlichen senkrechten Rippen zusammen mit dem „Kuhfänger“ an der vorderen Stoßstange verleihen dem kleinen Wagen die nötige Prise Boshaftigkeit im Aussehen. Wenn man die verspielt in den Motorhaubenecken platzierten vorderen Blinker ansieht, erwischt man sich beim Gedanken, dass es en irrationaler Gang von Mutter Natur sein muss. Zu sehr verwunschen und ungewöhnlich sind sie in die weichen Rundungen der Wagennase eingepflanzt, und lassen sie wie funkelnde Augen von Tiefseefischen aussehen. Übrigens, sehr viel half dem freien Flug der Designerphantasie, die Karosseriekonstruktion, die aus einem gepresstem Stahlgerüst mit Plastikpaneelen besteht.
Sehr schön und sogleich praktisch ist auch der in hellen Tönen gehaltene Innenraum. Von der Größe ist er nahe am Lada Samara, dabei ist der Wagen selber nur so groß wie ein LuAZ. Die rundlichen Linien des Cockpits, der Mittelkonsole, und besonders, der über dem Ganzen erhobenen Instrumententafel, wirken sehr modern. Die Instrumententafel möchte man einfach mit nach Hause nehmen, um dann einfach lässig den Gästen zeigen: „Das moderne Ding hier, ist von meinem neuen Jeep!“ Die Formen der Instrumententafel können wohl nur mit dem Design von japanischen portablen Kassettenrecordern (nicht mit den Autogeräten) verglichen werden, so vollendet sind seine Formen. Aber ich befürchte, dass mein Loblied an die Industriekunst unvollendet bleibt. Und schuld daran ist das Lenkrad, zu sehr bekannt ist es, von den Samaras aus Togliatti. Hier will einfach etwas anderes her, war eigentlich auch vorgesehen, aber darüber etwas später.
Wir gehen weiter. Hinten sind zwei Einzelrücksitze, die man um 100 mm nach vorne schieben kann, damit lassen sich bequeme Schlafplätze einrichten. Wenn man sie beide, oder einzeln zusammenklappt, bekommt man eine Ladefläche. Wenn das nicht ausreicht, kann man mit wenigen Handgriffen den hinteren Til vom Dach abnehmen, und bekommt damit etwas wie einen Pickup, nur ohne Rückwand an der Fahrerkabine. Für die Sicherheit sorgt ein starker Überrollbügel im Bereich der B Säule.
Gehen wir weiter, zu den Aggregaten. Unter der Integralmotorhaube (sie wird samt mit den Kotflügeln aufgeklappt) versteckt sich ein alter Bekannte: der „Tavria-Motor“ MeMZ-245. Der Antrieb dagegen ist ganz neu. Das synchronisierte Schaltgetriebe hat 6 Gänge, dabei dienen die zwei ersten davon als Geländegänge. Weil der Antrieb kein Ausgleichsgetriebe zwischen den Achsen hat, kann man die Vorderachse nur im Gelände zuschalten. Eine Besonderheit sind die Gleichlaufgelenke in den Radantrieben nicht nur der Vorderachse (McPherson Aufhängung), auch an den Hinterrädern. Ungewöhnlich für einen Geländewagen ist auch die hintere De Dion Radaufhängung auf Schraubenfedern, bei der das Differential an der Karosserie durch schalldämmende Lager aufgehängt ist. Auf diese Lösung wurde zurückgegriffen um den Innenboden abzusenken. Außer dem bis zu den Vordersitzen ebenen Boden, bekam man dadurch auch mehr Platz für den Kraftstofftank, der 42 Liter fasst. Die Antriebseinheit mit der Vorderradaufhängung und dem vorderen Differential bilden ein Aggregat, das auf einem separaten Hilfsrahmen montiert ist. Das heißt, dass man die ganze Mechanik unter dem Wagen rausrollen kann, ohne dass man dabei die Karosserie zerlegen muss.
Hier sind wir am rätselhaftesten Teil unserer Geschichte angekommen. Können sie auf Anhieb sagen wie alt der Wagen ist? Ein Jahr alt? Zwei? Acht? Dabei wurde er zum Ablösen des kantigen LuAZ-969M entwickelt. Heute sieht man mit bloßem Auge dass die Entwickler, ohne es zu wissen, mit ihren Prototypen den sich damals erst andeutenden Sektor der Autos für die aktive Freizeit getroffen haben. Sie bauten einen Strand-Jeep, obwohl sie einen Arbeits-Jeep in den Gedanken hatten. Wenn der, Ende der Achtziger, auf den europäischen Markt gelangt währe, hätte er garantiert für Furore gesorgt. Wozu übrige Worte? Vergleichen sie doch einfach den „Proto“ mit seinem Altersgenossen Suzuki Vitara. Wessen Aussehen gewinnt dabei?
Jetzt ist es Zeit, die Schöpfer des Ganzen vorzustellen. Der Leiter des Projekts Gennadij Chainow, Designer A. Kostewitsch und A. Suntejew. Ja, es ist genau derselbe Gena Chainow, der mit seinem Kameraden Dima Parfjonow, in dem löchrigen Schuppen die schöne Zwillingsautos „Laura“ gebaut haben, die die Aufmerksamkeit des Generalsekretärs Gorbatschow auf sich gezogen haben. Der gab danach ein Befehl: den jungen Talenten Möglichkeiten für weitere kreative Arbeit zu schaffen. Damals hat NAMI extra für sie in Leningrad ein Labor (anfangs mit sechs Mitarbeitern) für Prototypenbau eingerichtet. Die Geschichte des „Proto“ ist einfach. Das Ministerium für Auto- und Landmaschinenbau, gab einen kleinen Geländewagen für die Landbevölkerung in Auftrag, um seine Serienproduktion im Autowerk Luzk zu organisieren. Die in Luzk wiederum arbeiteten fleißig an ihrem eigenen Projekt, aber der Wettbewerb, das war so zeittypisch! Chainow mit seinen Kollegen haben den Jeep gebaut, wenn die Bedingungen auch, nicht nur was den Zeitrahmen betrifft, sehr hart waren. Bei streng vorgegebenen Außenmaßen musste der Innenraum so groß wie möglich sein. Aus wirtschaftlichen Gründen sollte der ganze Antrieb überarbeitet werden, dabei durfte die Reparaturfreundlichkeit, Geländegängigkeit und die Variabilität des Innenraumes nicht auf der Strecke bleiben. Die Arbeit begann Anfang 1988, der erste, und wie es sich später herausstellte auch der einzige, Prototyp war im Sommer des nächsten Jahres fertig. Die Zeit reichte nicht ganz um alle Kleinigkeiten vollständig durchzuarbeiten. Deshalb wurde das Lenkrad vom VAZ-2108 verwendet, und das Handschuhfach war einfach nur in Konturen angedeutet.
Dieses Exemplar galt eigentlich nur als vorläufiges Muster Modell. Deshalb waren solche unvollendete Kleinigkeiten nicht tragisch. Die Entwickler gingen sogar von sich aus weiter, und hatten ein zweites Muster Modell angefangen, das auf Lada Aggregaten der Frontantriebsmodellen basierte (Leider wurde diese Arbeit später eingestellt), weil das Leistungspotential des Tavria-Motors nicht mehr ausreichte. Sicherheit, dass das Projekt eine rosige Zukunft haben wird, gaben die ständigen Anfragen aus Moskau über den Stand der Entwicklung. Mitte 89 hat man den „Proto“ zu seinem Ziehvater, in das Hauptinstitut der Autoindustrie, NAMI gebracht. Aber nach einer Woche, schickte man die Petersburger Entwicklung wieder zurück, ohne einen einzigen Test durchzuführen. Heute sind die Gründe für diese Nachlässigkeit gegenüber einem perspektiven Auto nicht mehr herausfinden. Vielleicht hat ganz Oben plötzlich jemand begriffen, dass es das Werk in Luzk niemals schaffen wird, diesen Wagen in Serie zu bringen (Wie es auch bis jetzt mit dem eigenen LuAZ-1301 nicht geschafft hat). Damals, im Sommer 89, trafen sie sich zufällig im NAMI, der neue LuAZ-1301 und der „Proto“. Abgesehen von einigen konstruktiven Merkmalen, hervorgerufen durch gleiche Projektvorbedingungen, waren die Autos grundunterschiedlich. Wer dabei jetzt noch ganz frisch aussieht, und wer dabei den Eindruck eines Bastlerautos hinterlässt, können sie selbst beurteilen. Der Petersburger Jeep war praktischer als der Ukrainer. Im Wagen aus Luzk war eine Luftfederung, mit der man die Bodefreiheit ändern konnte vorgesehen. Die entsprach offensichtlich nicht den Produktionsmöglichkeiten des ehemaligen Lieferwagenaufbauwerkes, das es vor der Produktion des „Volyn“ war. Es waren auch örtliche Quereleyen im Spiel, man wollte sein eigenes Projekt durchboxen, wenn auch zum Nachteil künftiger Benutzer. Der LuAZ-1301 wird bis heute von einer zur anderen Ausstellung gefahren, und als Modell der nahen Zukunft präsentiert, und das schon acht Jahre lang. Der „Proto“ war leider die letzte Arbeit des Leningrader Labors. Zu den inneren Konflikten, die es in jedem Team geben kann, kam die Resignation dazu, aus der Erkenntnis, dass die ganze Arbeit früh oder später doch auf dem Müll landen wird. 1989, bei der Eröffnung der Reihe über die sowjetische Autoindustrie, platzierte die Auto-Bild ein riesiges Foto vom „Proto“, festgefahren in einem Sandloch. Dieses Foto stellte sich als Prophezeiung heraus…
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